Freitag, 27. Januar 2017

°Schönower Heide° – Wildrundweg mit Kinderwagen


Es ist mal wieder Sonntag, eigentlich ein strahlend schöner Sonntag, doch die trübe letzte Woche hängt noch im Gemüt. Die vergangenen Tage waren grau und die Nächte sehr kurz. Das Kind war krank! Vater hat alle Termine absagen dürfen und verbrachte die Tage mit dem zu recht missgelaunten Sohn im inneren des Wagens! Doch heute Morgen wendete sich das Blatt, Fieber weg, Minusgrade und ein strahlend blauer Himmel.

Ich muss raus, dit is uf jeden Fall klar, und der Sohn kommt mit. Da das Bürschchen noch nicht raketenmäßig fit ist wie sonst, suche ich eine Spezialstrecke, die Vater und Sohn zufrieden stellt und noch Kinderwagen tauglich ist. Ah, klar…die Schönower Heide im Naturpark Barnim! Da können wir Rot- und Damwild gucken und auf einem kinderwagentauglichen Rundweg durch die weite Heidelandschaft des ehemaligen Truppenübungsplatzes Schönower Heide rattern.


Also Sohn und Kinderwagen ins Auto geladen und los! Wir fahren die Bucher Straße nach Berlin – Buch, dann die Hobrechtsfelder Chaussee durchs kleine Dörfchen Hobrechtsfelde, ein kleines Stück auf der kurvigen L 30 Richtung Bernau und nach 20 min wir sind schon da.
 

Auch andere Menschen sind schon da, der Parkplatz ist gut gefüllt! Der Weg ist vereist. Unsicher schlittern und staksen die meisten Leute dahin. Mutig schiebe ich den warm eingepackten Sohn in seinem gefundenen dreirädrigen Geländekinderwagen über die Haupteinflugschneise in Richtung Aussichtsturm. Aus der Ferne kann ich bereits ein gemischtes Rudel junger Rot- und Damhirsche ausmachen, die sich neugierig über das Futter hermachen, welches ihnen die geneigten Wildtierfreunde und Spaziergänger entgegenschleudern. 

Das Paradoxe an der Szenerie ist, dass genau an dieser Stelle des Zaunes ein Schild angebracht ist, auf dem mit großen Lettern und mit Piktogrammen dargestellt steht “ Wildtiere füttern verboten!“ Ich beschließe mich heute nicht zu ärgern. Da ich dieses Schauspiel bereits kenne, möchte ich vorsichtshalber erst eine große Runde durch die Heide drehen bis der große Run auf das heimische Wild vorüber ist.


Leider hat der Sohn genau in diesem Augenblick die zahlreichen Geweihträger entdeckt und kräht aus seinem Geländefahrzeug: „Paaapaa, Hirsche angucken!“. Nun gut, erste Chance am heiligen Sonntag für mein persönliches Seelenheil zu sorgen verpasst. Jetzt heißt es ruhig Blut bewahren, Menschen ignorieren und nur auf den begeisterten kleinen Menschen im Kinderwagen und die Hirschleute achten. 

Ich werde mich einfach von Klein-Alvars kindlicher Begeisterung mitreißen lassen und meine Erwachsenenüberzeugungen mal ganz weit weg schieben! Und siehe da, es klappt! Nach einer halben Stunde ist das Rudel des schlechten Futters und der Gafferei überdrüssig und verdrückt sich wieder ins Unterholz. Meine Chance ein paar Meter gut zu machen und so rollen wir von dannen.

Der Weg gestaltet sich fahrerisch anspruchsvoll und der Untergrund variiert zwischen Eispiste, Schneematsch und aufgeweichtem Steinschotter. Kurvig zieht sich der Rundweg entlang des riesigen Wildtiergatters, durch die malerische weiße Heidelandschaft. Nach ca. vier Kilometern machen wir eine Pause, ich befreie den kleinen Raupenmann aus seinem warmen Kokon und wir verspeisen unsere Unterwegsrationen auf ein paar großen Baumstämmen in der Mittagssonne. Nachdem die kleine Made satt ist und ein wenig auf den Stämmen herumgeklettert ist will sie wieder in ihren warmen Kokon und die Fahrt kann weiter gehen.

Bald darauf schläft der Sohn in seinem Wägelchen tief und fest und ich verlasse den Rundwanderweg für einen kleinen Abstecher von 1,6 Kilometern, zum Gorinsee. Durch den typischen Brandenburger Kiefernforst geht es geradewegs zum Gorinsee, der unter seiner eisigen Winterdecke untypisch verlassen da liegt. An warmen Sommertagen ist hier die Hölle los und der Parkplatz eigentlich immer überfüllt.


Zurück auf dem Rundwanderweg durch die Schönower Heide fahre ich die verbliebenen drei Kilometer durch die freundliche Nachmittagssonne. Immer wieder schiebe ich an äsenden Damtieren vorbei, deren weiße Hinterteile mit dem schwarzen Wedel über die Heide leuchten.


Zurück am Ausgangspunkt des Weges suche ich mir ein schönes Plätzchen auf der ehemaligen Schießbahn unter einem Kiefernbaum und stelle den kleinen Alvarmann in die Sonne, während ich, von kindlicher Energie getrieben, in die Krone der Kiefer klettere. Dort verbringe ich glücklich und zufrieden die restlichen Nachmittagsstunden bis mein Sohn aus seinem Nachmittagsschlaf erwacht und wir uns langsam auf den Heimweg machen.


Vater und Sohn haben jetzt gute Laune und ich finde der Sohn sieht jetzt auch viel gesünder aus! ;-)




Donnerstag, 26. Januar 2017

°Drei Türme Tour° – Thüringer Wald Feeling mitten in Brandenburg




Noch ehe ich die Augen aufschlug, rappelte es neben mir und etwas sehr helles schien in mein Gesicht. Kurz darauf wurde an mir gerüttelt und die aufgeregte Stimme eines kleinen Wesens drang an mein Ohr. Paaapaaa aufwachen, draußen ist alles voller Schnee! Als ich mich schließlich schwerfällig in eine erhöhte Position stemmte, um aus dem Fenster unseres Zirkuswagens zu blicken, sah ich es. Endlich war alles weiß, eine für Berliner Verhältnisse dicke Schneeschicht bedeckte den Boden, die Büsche, Bäume und die im Garten verstreuten Spielgeräte meines Sohnes.

Also los, ich hetzte den kleinen Mann ins Nebenzimmer, Onkel Micha wecken, während ich im Küchenwagen unter der Spüle nach der Thermoskanne fahndete und Brote schmierte. Wenig später wurde der noch halb schlafende Onkel Micha von Alvar erbarmungslos in die Küche gezerrt und mit einer Tasse Earl Grey mit Hafermilch vor den bullernden Ofen gesetzt. Nun verkündete ich stolz, dass wir heute den Watzmann umrunden würden, was mir nur die skeptischen Blicke aller Anwesenden einbrachte und ein leichtes Tippen des Zeigefingers an der Stirn.

Ich ließ mich jedoch davon nicht beirren, also: Rucksack gepackt, Stiefel geschnürt und los ging es nach Nordosten in Richtung Bad Freienwalde. Nachdem ich den Sohn in der Kita abgeliefert hatte fuhren wir eine knappe Stunde nach Bad Freienwalde, wo wir am Bahnhof parkten und eine Station mit der ODEG nach Falkenberg (Mark) fuhren.
 

Vom Bahnhof aus gehen wir bis zu einer Straßenkreuzung in der Ortsmitte und laufen nach links die B 167 in Richtung Bad Freienwalde runter. Am Gedenkstein im Theodor Fontane Park folgen wir dann stadtauswärts dem Fontaneweg. Am Ortsrand steigen wir links einen steilen Waldweg hinauf, den ein kleiner brauner Turm auf weißem Grund markiert. Und schon befinden wir uns im Winterwald.
 

Rutschig und unwegsam war es dort und der Weg zog sich ziemlich steil den Hang hinauf, so dass wir nach kurzer Zeit richtig ins Schwitzen gerieten. Dabei hatten wir uns heute bei – 8C° und strahlendem Sonnenschein extra dick eingemummelt. Doch je höher wir stiegen desto weniger wurden unsere Schichten an Kleidung, die wir am Körper trugen.


Normalerweise musste dieser Wanderweg recht gut zu gehen sein, doch nicht nur Eis und Schnee machten das Vorankommen beschwerlich. Aus der Ferne hallte Maschinenlärm durch den einsamen Wald und immer wieder ließen uns Erderschütterungen skeptisch innehalten. Als wir uns unseren Weg durch zerfurchte Erde und verschneite Baumkronenreste bahnten- ihr ahnt es schon- der Harvester war zu Gange und wühlte sich Bäume fällend und entastend durch unsere Zauberland-schaft. Also sahen wir zu, dass wir der zerfurchten Landschaft, die diese Fällmaschine hinterließ, möglichst rasch entkamen.
 

Bald darauf zog der Weg wieder recht steil an, bis er sich zu einem Kammweg durch wunderschöne Laubmischwälder wandelte. Dem Kammweg folgend passierten wir die kleine Tobbenberg Hütte und wähnten uns kurz darauf nicht mehr im flachen Brandenburg zu wandern, sondern durch die schöne Mittelgebirgslandschaft des Thüringer Waldes oder des Harzes. Unterbrochen von kurzen Auf- und Abstiegen durch die strahlend weiße Winterlandschaft gelangten wir an die Abzweigung zum Bismarckturm, der auf einem Hügelvorsprung kauernd, durch seine Feldsteinmauern wie eine alte Burgruine anmutet. Ein schöner, verwunschener Ort zur Winterzeit, der die Gedanken in ferne Zeiten schweifen lässt.
 

Um weiter auf dem Turmwanderweg zu bleiben, kehrten wir zur Wegkreuzung zurück und folgten dann links den Tierspuren im frischen Schnee. Die anschließende Watzmannumrundung gestaltete sich spektakulär, da die von den hohen Bäumen rieselnden Schneekristalle golden in der Sonne glitzerten und man den Eindruck hatte im Goldregen durch einen Märchenwald zu laufen. Unbeschreiblich schön! Der knurrende Magen meldete sich und so wurde es Zeit für eine Essenspause im warmen Licht der Nachmittagssonne. An Stämmen von mächtigen Kiefern gelehnt, die auf einer Hügelzunge thronten, blickten wir über die Mariannenschlucht und genossen die klare, kalte Luft.
 

Frisch gestärkt stiegen wir hinab in die breite Schlucht und wieder hinauf zum malerisch gelegenen, zugefrorenen Teufelssee, der sich etwa eine Stunde vom Bismarckturm entfernt befindet. Augenscheinlich wird der See von einem alten Bekannten, den wir schon aus dem Briesetal kennen, bevölkert. Als wir am Seeufer entlang schlenderten, entdeckten wir im Zufluss des Sees seine riesige Burg, in der wohl mehr als eine Biberfamilie Platz gefunden hätte. Wir konnten uns kaum von dem Anblick des gigantischen Biberbollwerks lösen, doch mahnte uns das schwindende Tageslicht zum Aufbruch.


Vorbei an der alten Jugendherberge und dem E-Werk bogen wir rechts in den Waldweg ein, über den wir nach kurzem Anstieg den Thüringer Blick erreichten. Der markierte Weg führte uns direkt zum Eulenturm am Haus der Naturpflege und hinunter zur B 158, der wir rechts ein kurzes, ätzendes Stück folgten. Vorbei am örtlichen Kinder-und Jugendzentrum OFFI stiegen wir hinunter zum Jahn-Stadion, hinter dem auch die große Skisprungschanze von Bad Freienwalde liegt.


Jetzt wo Schnee lag, war der Anblick der Sprungschanze gar nicht so verstörend, doch im Sommer muss die ganze Anlage mehr als skurril auf den Betrachter wirken. Wir erinnern uns nochmals...wir sind im flachen Brandenburg und nicht im Harz, obwohl momentan wirklich alles danach ausschaut und sich anfühlt. Verrückt!


Als wir die Schanze passierten, wurden bereits die Flutlichter angeschaltet und das Auffinden des richtigen Weges durch die Papenberge kostete uns etwas Zeit. Im Dunkeln folgten wir dem Brunnentalweg und stiegen zur Fürstenquelle ab, die sich am Rande der Kuranlagen befand. Kurz vor dem Erreichen der Kurklinik stiegen wir rechts den kleinen Steig zur alten Kapelle hinauf, der uns wieder das Wasser aus den Poren trieb.
 

Atemlos an der der Kapelle angekommen, folgten wir sogleich dem Wanderweg (Turm oder gelber Punkt) durch die Dunkelheit des dichten Waldes, einem Pfad der uns in einem letzten Anstieg zum Aussichtsturm führte. Langsam stiegen wir über vereiste Stufen nach Bad Freienwalde ab und durchquerten die Stadt, vorbei an liebevoll restaurierten Villen und Stadthäusern zum Bahnhof, wo wir uns nach ca. 5 Stunden und 17km mit schmerzenden Gliedern in die Autositze fallen ließen. Wow!


Wer also wunderschöne Natur, steile Anstiege und tiefe Schluchten mit Thüringer Wald Feeling sucht, ist auf dem Drei Türme Wanderweg von Falkenberg (Mark) nach Bad Freienwalde gut aufgehoben!












Donnerstag, 12. Januar 2017

°Wildes Briesetal° - Unterwegs im wilden Brandeburg





Es ist kalt und in den frühen Morgenstunden hat es etwas geschneit, endlich bedeckt alles eine feine weiße Pulverschneeschicht. Als wir uns im Wolfslicht aus den Betten schälen kündigt der rote Streifen am Horizont einen schönen eisigen Wintertag an. Der Entschluss am Frühstückstisch ist schnell gefallen, es soll mal wieder raus gehen. Ursprünglich und wild soll es sein aber auch nicht so weit weg. Da wir an der nordöstlichen Stadtgrenze von Berlin wohnen geht es in das schöne Briesetal.

Die Briese ist ein kleines verwunschenes Flüsschen welches sich nördlich von Berlin durch den Naturpark Barnim schlängelt und eine wunderschöne Flusslandschaft mit weiten Erlenbrüchen und ursprünglichen Mischwäldern geschaffen hat.

Man kann die Tour vom S Bhf. Borgsdorf oder Birkenwerder aus starten oder vom Parkplatz der Waldschule Briese. Da es in der mitten in der Woche ist, etwas Schnee liegt und recht kalt ist, sind wir ganz für uns als wir auf den schmalen Wanderweg zum Flussufer einbiegen. Die Luft ist klar und das gefrorene Laub unter unseren Stiefeln knirscht während wir entlang der Briese durch die den alten Erlenbruch wandern. Immer wieder bleiben wir stehen und laben uns an den vielen Spuren die hier und da unseren Weg kreuzen.

Kurve um Kurve bieten sich immer ein neues Landschaftsbild das durch den im Wasser lebenden Waldgärtner immer wieder umgestaltet wird. Gigantisch welche dicken Stämme dieser Kerl mit seinen Zähnen zu fällen vermag und mit welcher Präzision alles entastet und auf Länge genagt wird, um dann zum Schluss in einen Damm oder einer Burg eingebaut zu werden. Wir sehen immer mehr Buchen und Eichen am Flussrand die „geringelt“ worden sind, oder ganz gefällt wurden. Für uns stellt sich hier allerdings die spannende die Frage warum unser Waldgärtner hier auch Rot- und Hagebuchen und sogar Eichen fällt, da er sonst die weicheren Hölzer bevorzugt!?

Wir ziehen an verwachsenen Hagebuchen und hohen Douglasien und alten Kiefern vorüber bis sich das Briesetal weitet und breiter wird. Nachdem wir Zühlsdorf erreicht haben wenden wir uns in Richtung Zühlsdorfer Mühle die heute ein Sägewerk ist. Über Forstwege erreichen wir das alte Forsthaus Wensickendorf wo man sich an Wochenenden und Feiertagen mit Kleinigkeiten wie Kaffee und selbstgebackenem Kuchen oder auch Rührei von den Hofeigenen Hühnern bewirten lassen kann.

Als wir eine Rast einlegen verdunkeln Schneewolken den Himmel und es beginnt ordentlich zu schneien. Im Schneegestöber setzen wir unseren Rundweg in Richtung Briese fort, wieder vorbei an den jetzt verschneiten Erlenbrüchen. Am Parkplatz angekommen blicken wir dankbar zurück auf entspannte 16km durchs wilde Briesetal. Ja, hier ist Brandenburg noch wild und ist schön!





Donnerstag, 15. Dezember 2016

Machen wir doch mal etwas anders...




Machen wir doch mal etwas anders…


Es ist wieder Adventszeit, die Auslagen der Supermärkte quellen schon seit Anfang Herbst über von dem vielen Weihnachtszeug. In der örtlichen Shopping Mall werden die Weihnachtseinkäufe zum Spießrutenlauf unter gnadenloser Beschallung von „Last Christmas“. Draußen ist es jetzt empfindlich nasskalt geworden und die meisten von uns haben sich in ihre warmen Behausungen verkrochen.
 

Seit Regen und Nebel die Herrschaft in der Natur übernahmen und die Landschaft mit ihrem grauen Schleier überzogen haben, ist auch Ruhe im Berliner Stadtrandwald eingekehrt.

Abgesehen von einem Hundebesitzer der mit „Wauwie“ Gassi gehen muss, einem zukünftigen Ausdauersportler, der mit ungesunder dunkelroter Gesichtsfarbe an mir vorbei schnauft und ein paar armen Kindern, die man zu dieser Jahreszeit erbarmungslos zum Spielen in den Wald getrieben hat, ist hier offensichtlich niemand mehr.
Hut ab vor den kleinen Rackern, die fröhlich und ausgelassen durch den Regen toben, denke ich mir und ziehe sogleich den Reißverschluss meiner Jacke noch ein Stückchen höher. Ich versuche mich noch weiter in die Tiefe meiner Jacke zu verkriechen, um dem fiesen Sprühregen doch noch zu entgehen. Es hilft nichts...Sprühregen, schräg von vorn, keine Chance! Verstohlen linse ich aus dem schmalen Spalt zwischen Jackenkragen und Kapuze heraus und beobachte fasziniert, wie die kleine Schar von wilden Kindern sich unter lautem Gejohle die Böschung hinunter in einen kleinen Graben rollen lässt. An der anderen Seite wird auf Händen und Füßen sofort wieder hoch gekrabbelt und im Schleudergang geht es erneut den kleinen Hang hinunter in den Matsch. Inzwischen sind alle mit einer dicken Schicht aus nassem Laub und Sand paniert. Auf den Gesichtern spiegelt sich die helle Freude.
Genau so muss Kindheit aussehen, denke ich mir. Das ehemalige Pink, Rot oder Gelb der Matschanzüge ist bereits dem erdigen Ton des Bodens gewichen. Ein Gummistiefel bleibt an einer Wurzel hängen während seine Besitzerin den Verlust erst gar nicht zu bemerken scheint. Erst als mehrmals ein krächzender Ruf ertönt, gerät die Rutschpartie langsam ins Stocken und einige Kinder rufen aufgeregt: der Rabenruf, der Rabenruf…!

Dies scheint ein vereinbartes Zeichen zu sein, denn plötzlich drehen alle die Köpfe in Richtung eines Mannes, mit grünen Klamotten und Hut, der gerade seinen Rucksack aufschnallt. „Leute, wir wollen doch noch Zweige für den Julkranz sammeln...“ruft er und die „Rotte“ verlässt gemächlich ihre Suhle in Richtung des Nadelwäldchens. Interessant, sage ich mir und trotte hinterher. Die wollen Zweige für einen Julkranz sammeln, was soll das denn sein?
Nun, einen Adventskranz kenne ich und das die Skandinavier zu Weihnachten „Jul“ sagen habe ich auch schon mal gehört. Aber das Wort Julkranz sagt mir rein gar nichts. Da wir ja im Kommuni-kationszeitalter leben und ich sozusagen eine ganze Bibliothek in meiner Hosentasche herum trage, zücke ich mein Smartphone. Doch was ist das, ein einziger lausiger Balken im Berliner Stadtrandwald. „Von wegen Weltstadt, selbst im ehemaligen Tal der Ahnungslosen haben die mehr Netz“, blubbere ich vor mich hin bis das Handy überhaupt keine Verbindung mehr anzeigt.


Während ich voller Groll auf meine selbstgewählte Sklavenfessel starre und durch den verregneten Novemberwald stapfe, werde ich aus meinen Gedanken gerissen, indem ich über einen kleinen mitten auf dem Waldweg liegenden Rucksack stolpere. Schon kichert es zwischen den Bäumen links neben mir und aus dem Dickicht kommen immer mehr, mit grünen Zweigen beladene, kleine Menschen zum Vorschein. „Oh, Tannengrün für eure Adventsgestecke“, mutmaße ich und setze die wissende Erwachsenmiene auf. Wieder großes Gelächter, „Nee, dit is für unsern Julkranz inne Kita und aussadem sind dit Fichtenzweige, sieht doch jeder“, werde ich aufgeklärt. „Fichte sticht, Tanne nicht!“ ruft mir ein kleines Mädchen mit schief sitzender, eingesandeter Schalmütze zu, in dessen Gesicht die Rutschpartie von vorhin ihre Spuren hinterlassen hat.

Ein bisschen belämmert stehe ich nun da, belehrt von einem höchstens fünfjährigen Waldwichtel! Es knackt und der große Waldwicht kommt aus dem „Fichtenwäldchen“, wie ich nun weiß. Da mein neuzeitliches Bildungsgerät versagt hat und ich bereits von kleinen frechen Waldgeistern belehrt wurde, werfe ich meinen restlichen Stolz über Bord und frage hemmungslos drauf los, was das mit dem Juldingsbums auf sich hat und was sie denn hier so treiben.
Wie sich herausstellt, ist der ganz in olivgrün gehüllte Rabenmensch Wildnispädagoge und der Erzieher der Bande. Er erklärt mir auf meine Frage hin, dass der Rabenruf dazu diene, die Kinder zusammenzurufen. Klar könne man das auch mit gewöhnlichem lauten Rufen tun, aber dann wäre er am Ende des Monats heiser und die bei den Kindern so heißgeliebten Tierbegegnungen würden auch völlig ausbleiben, erklärt er mir. Die rabenähnlichen Rufe scheinen also eine Art Ruftarnung zu sein, um nicht den ganzen Wald verrückt zu machen. Nicht schlecht! 
„Was wollt ihr denn mit den Fichtenzweigen?“, will ich wissen und ein Fünfjähriger mit roter Zwergenmütze aus gewalkter Wolle, erklärt mir die ganze Sache dann so: „Mit den Fichtenzweigen basteln wir inne Kita einen Julkranz, so wie bei die „Gemanen“ früher und dann stecken wir vier Kerzen rein und zünden die imma zum Vespern an. Aber erst alle vier und dann immer eine weniger...wegen dem Licht.“

Ok, also doch ein Adventskranz denke ich, aber was hat das mit den Germanen zu tun und wieso erst alle Kerzen anzünden? So richtig leuchtete mir die ganze Geschichte noch nicht ein, also fragte ich noch einmal nach. 
Antwort vom kleinen Mützenmann: „...na die Sonne, hat jetzt nicht mehr so viel Kraft und deswegen geht sie jetzt immer früher schlafen. Sie muss sich ausruhen, damit sie im Frühjahr wieder länger scheinen kann und die Pflanzen wieder wachsen können...“
Meine Skepsis schien mir wohl ins Gesicht geschrieben zu sein, denn die kleinen Waldwichte trollten sich jetzt wieder und ließen mich ungläubigen Erwachsenen einfach im Nieselregen stehen. „Im Prinzip haben dir die Kinder den Kern der Sache ja schon richtig erklärt“, sagt der Rabenmann zu mir.


„Unser Adventskranz ist dem heidnischen Julrad/ Jahresrad, das den Jahreskreis symbolisiert, entlehnt. Viele indigene Völker und auch unsere Ahnen haben die Natur in der sie lebten genau studiert und festgestellt, dass das Leben in Kreisläufen zu funktionieren scheint. Das Rad ist ein altes Kreissymbol und in vielen Teilen der Welt zu finden. Es verkörpert z.B. den Jahreskreis mit dem immerwährenden Wechsel der vier Jahreszeiten. Dem Winter folgt der Frühling, dem Frühling der Sommer, dem Sommer der Herbst und dem Herbst wieder der Winter. Wenn du dich hier draußen in der Natur umschaust, und zeigt in die Runde, wirst du sogar feststellen, dass es gar kein richtiges Ende gibt! Es ist ein immerwährendes Vergehen und Neuentstehen!
 

Wir benutzen z.B. die Fichte für das Binden des Julrades, weil sie eine „immergrüne“ Pflanze ist. Sie erinnert uns auch außerhalb der Vegetationszeit an das grün des Frühjahres, das Wachstum der Pflanzen, welches für das Leben steht. Meistens schmücken wir unseren Julkranz noch mit den roten oder orangen Beerenfrüchten der Eberesche oder des Feuerdorns. Wie beim Adventskranz kommen auf den Julkranz auch vier Kerzen. Sie symbolisieren die vier Jahreszeiten und das Licht der Sonne. 
Das Licht spielte für viele indigen Kulturen, wie auch für unsere Vorfahren, eine große Rolle, waren sie doch auf die Sonne und ihre wärmenden Strahlen auf Grund der klimatischen Gegebenheiten besonders angewiesen. Wenn die Tage nun kürzer werden, die warmen Sonnenstrahlen sich immer öfter hinter den Nebelschleiern verstecken oder ganz ausbleiben, ist das für dich wenn du draußen lebst eine gravierende Veränderung“, meint der Rabe.

„Als Zeichen, dass das Licht in den Tagen vor der Wintersonnenwende immer mehr schwindet, löschen wir mit den Kindern montags (angelehnt an die Adventssonntage) immer eine Kerze mehr. Gerade heutzutage, wo wir immer und überall von elektrischem Licht, Heizungswärme usw. umgeben sind, vergessen wir oft, was draußen in der Natur jedes Jahr um uns herum passiert. Das Leben in der Natur vollzieht sich immer noch in den gleichen alten Kreisen. Das Jahr wandelt sich, das Licht kommt und geht. Und so hat jede von diesen (Jahres)Zeiten logischerweise auch ihre Qualitäten. Die Qualität des Spätherbstes, wo das Licht immer mehr abnimmt, ist z.B. Resümee ziehen, zur Ruhe kommen und Innenschau halten. Er ist wie eine Zwischenzeit, in der das Leben kurz inne hält, um Kräfte zu sammeln für das Neue(Jahr). Im Zenit der Dunkelheit zur Wintersonnenwende, wird tief unten im Schoß von Mutter Erde, für uns vielleicht noch nicht sichtbar, das Neue geboren. Das Samenkorn, welches in der schützenden Erde ruht, bekommt mit dem wiedergeborenen Licht einen Wachstumsimpuls. Nun beginnt es zu keimen und sich langsam nach oben zu schieben bis es die Erdoberfläche durchbricht. Es streckt sich dem Licht entgegen, um zu wachsen, zu erblühen, zu reifen, Samen auszubilden und zu verteilen, um dann wieder abzusterben oder sich wieder unter die Erde zurückzuziehen. 
Am 21. Dezember zur Wintersonnenwende, machen wir wieder alle vier Kerzen an. Zur Feier der Ankunft des neuen Lichtes und dass die Tage jetzt wieder länger werden, machen wir mit den Kindern ein Wintersonnenwende Feuer, in dem wir das alte Jahr verabschieden. Wir geben alles Alte, symbolisiert durch unseren Julkranz, ins Feuer. Wir lassen das Alte los und machen Platz für das Neue! So gehen wir neu und absichtsvoll in die Weihnachtsfeiertage und die Raunächte. Aber die sind noch ein anderes Thema“. 
„Wow“, sage ich. „Das war jetzt aber ganz schön viel. Das muss ich erst einmal verdauen“ und reibe mir mit meinen Händen das Gesicht. „Oh ja...Verdauen, das ist ein gutes Stichwort“, spricht der Rabe. „Wir müssen zurück in die Kita. Es gibt bald Mittagessen“ und „rabt“ wieder alle Kinder zusammen. „Also Tschüss und mach`s gut, komm gut durch die dunklen Tage“, sagt er und drückt mir noch ein paar Fichtenzweige in die Hand! „Tschüss und danke...für alles“, sage ich und stehe noch ein paar Minuten wie angewurzelt da. 

Dann gehe ich nach Hause, koche mir einen schönen warmen Tee und labe mich am Weihnachts-gebäck. Am Nachmittag hole ich mir Draht, eine Zange und eine Gartenschere aus dem Keller, nehme die Fichtenzweige aus der Vase und fange an zu basteln... Dieses Jahr mache ich das mal anders! 

www.wildnisschule-berlin.de